Happy Birthday Helvetica

Die meistverbreiteste und langweiligste Schrift der Welt ist 50 Jahre alt geworden.
helvetica
(für das Magazin)
tromboni - 24. Mär, 12:53

Max Küng im "Das Magazin"

Du wirst dieses Jahr fünfzig Jahre alt. Ich sage dies nicht aus reiner Höflichkeit, der Höflichkeit, die einer hoffentlich stolzen Jubilarin wie dir gebührt: Man sieht sie dir nicht an, die fünfzig Jährchen. Ganz und gar nicht. Frisch siehst du aus. Jugendlich. Modern wie eh. Oder nein: modern wie nie zuvor.
Blicken wir kurz zurück, liebe Helvetica. Vor fünfzig Jahren also kamst du auf die Welt, als serifenlose Linear-An-tiqua, wie man so schön sagt, schnör-kellos und schlicht. Der Zürcher Grafiker Max Miedinger war dein Vater. Eine Schrift namens Haas Grotesk dein Urahn. Max Miedinger, im März 1980 leider von uns gegangen, hat dich gezeichnet im Dienste der haasschen Schriftgiesserei in Münchenstein bei Basel, die von der deutschen D. Stempel AG übernommen wurde, als du noch in den Kinderschuhen stecktest, und heute zum Konzern Linotype gehört, der wiederum zum Konzern namens Monotype gehört.
Ganz bewusst hat man dich Helvetica getauft. Anfangs wollte man dich ja unoriginellerweise einfach Neue Haas nennen. Doch dann bemerkte man in Deutschland den vermehrten Einfluss der Schweizer Typografie. Dem wollte man Rechnung tragen und dir einen Namen geben, der eindeutig deine Herkunft und unmissverständlich deine Qualitäten zeigen sollte. Helvetia wollte man dich erst taufen. Es kam dann doch noch ein schönes C dazu - Helvetica wurde dein Name, mit dem du auf den Markt kamst.
Aber das sind ja uninteressante Details. Interessant ist, was aus dir geworden ist! Nicht weniger als - unglaublich, aber wahr - ein Weltstar.

Schriftsprache der Welt Liebe Helvetica, wo habe ich dich nicht überall gesehen? Du heisst zwar, übersetzt man deinen Namen aus dem Lateinischen, so viel wie «die Schweizerin», doch bist du alles andere als eine Landpomeranze, als eine Gilberte de Courgenay, Paola oder Nella Martinetti. Du, Helvetica, bist die absolute Kosmopolitin. Die Welt ist dein Heim. Du bist überall. Kein Land, wo du nicht zu Hause bist.
Du wehst auf den Flaggen des UNHCR. Wen nahm man für die Plakate der Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokio? Wen für die Winterspiele in Grenoble 1968? Dich. Du bist ein schöner Teil der SBB. So viele Firmen vertrauen deiner seriösen Ausstrahlung. Du bist Lufthansa. Du bist Knoll. Du bist BMW. Du bist Fendi. Du bist Tupperware. Du bist Stimorol. Du bist Hus-qvarna. Du bist BMW. Du bist Saab. Du bist Harley-Davidson. Du bist das grosse, orange Migros-M, das seit meiner Kindheit leuchtet. Du bist aber auch Orange. Du bist Comme des Garçons. Du bist Muji. Du bist Self Service. Du bist auf ziemlich teuren Bildern von Künstlern. Ja, Richard Prince treibt seine Witze mit dir. Lawrence Weiner sei-ne spröde Poesie.
Du zierst, ohne zu zieren, mit deinem zeitlosen Charme Briefmarken. Medikamentenverpackungen (und Beipackzettel). Filmplakate. Zeitschriften. Zeitungen (zum Beispiel «The Guardian», aber auch «Hürriyet»). Buchumschläge. Plattencovers (ich sag beispielsweise «This is Hardcore», ich sage aber auch «Remain in Light»). Du bist auf jeder Freitag-Tasche. Auf jeder Jeans von Diesel.
Und was du uns nicht alles sagst. Du sagst «Täglich ofenfrische Brötchen» auf popeligen Schildern vor popeligen Geschäften in popeligen Strassen in Berlin. Du sagst «Ankauf Briefmarken Silber & Gold» auf Tafeln in Basel. Du sagst kühl und klar und unmissverständlich «exit only» auf Türen auf dem Flughafen London Heathrow. Du sagst: «DO NOT ENTER». «DRÜCKEN». «NO LIFEGUARD ON DUTY». «Fire exit keep clear». «DOG WASTE TRANSMITS DISEASE
- LEAH-CURB AND CLEAN UP AFTER YOUR DOG - IT'S THE LAW». «Zu verkaufen». «A vendre». «Closed - please come again». «POLICE LINE DO NOT CROSS». «Sale». «Saldi». «Leberkäse 3.50». Du bist auf den U-Bahn-Plänen von New York. Und jenen von Prag. Und Moskau. Und hundert anderer Städte. Wer in Tokio die Yamanote Line oder irgendeine andere Untergrundbahn besteigt, der sieht dich ebenso an wie der, der ein Feuerwehrauto in New York betrachtet.
Und man sieht dich auch hier, in Zürich, am Helvetiaplatz zum Beispiel, der, wie alle anderen Strassen und Plätze, angeschrieben ist mit dir, in weisser Schrift auf blauem Grund. Man muss nur die Augen aufmachen, und man sieht dich: überall. Du bist die schlichte Schönheit. Und du bist die schöne Schlichtheit. Es war kein Wunder, als im Internet kürzlich verkündet wurde, wer bei der Wahl der hundert wichtigsten Schriften zuoberst auf dem Treppchen gelandet war: du.

So gut wie Spaghetti Auch warst du von Anfang an dabei, als es mit dem Desktop Publishing losging, jener Sportart, die, du weisst es, wahrlich nicht nur Gutes und Schönes in die Welt gebracht hat. Du gehörtest zu den fixen Schriften, mit denen die Apple Computer ausgeliefert wurden. Und wie du ebenfalls weisst: Dein missratener Konkurrenz-Klon namens Arial wurde fixer Bestandteil des bösen Microsoft-Windows-Imperiums und deine hässliche Gegenspielerin.
Kürzlich sprach ich im Hinterzimmer des Salons des schweizerischen Typografenklubs mit dem Grafiker Cornel Windlin über dich. Er, der dich 1995 auf ein Plakat für die Rote Fabrik setzte, auf dem stand: «Es ist soweit: Die SVP hört Soundgarden». Ich fragte ihn, ob er etwas Nettes über dich sagen könne, weil ich wusste, dass ich diese kurze Rede für dich verfassen würde zu deinem runden Geburtstag und er dich schon lange kennt. Er dachte nach und meinte dann: «Das ist, als ob man was zu Spaghetti sagen soll. Was soll man zu Spaghetti sagen? Spaghetti sind nicht spannend, aber immer gut und oft genau richtig. Man kann sie immer essen, und man hat im Notfall immer welche zur Hand. Man kann fast nichts falsch machen, sie verleiden einem seltsamerweise nie, und mit jeder Sauce schmecken sie auf andere Weise gut. Am liebsten esse ich Helvetica Vongole. Al dente.»
Es soll, so wurde mir zugetragen, sogar vorgekommen sein, dass ein US-amerikanischer Grafik-Designer gesagt habe, als er eine alte Karte sah und dort drauf die Umrisse der Schweiz und «Confoederatio Helvetica» las, dass der also gesagt habe, dass es doch reichlich komisch sei, ein Land nach einer Schrift zu benennen. Nach dir, liebe Helvetica.
Und nun kommen heute Samstag Leute in Zürich zusammen, um dich und deinen Geburtstag zu feiern*. Filmstar bist du auch geworden. Nun, es ist kein glamourgespickter Hollywood-Streifen, der über dein Leben gedreht wurde, sondern ein Dokumentarfilm. Nicht Arthur Cohn hat ihn gemacht, sondern Gary Hustwit, der zuvor unter anderem einen Dokumentarfilm über die Band Death Cab For Cutie produziert hat. Ich bin sicher, es ist ein Film, wie du es bist: schön und schlicht und doch überraschend.
Liebe Helvetica, zu deinem 50. Geburtstag wünsche ich dir alles Gute. Und ich möchte dir noch einen guten Ratschlag auf deine nächsten fünfzig Lebensjahre mitgeben: Bleib, wie du bist!

de (Gast) - 26. Mär, 03:08

ist das

wirklich helvetica auf dem bild?

tromboni - 26. Mär, 07:21

aber sicher!

ein orginaler bleisatz aus der schriftgiesserei haas.